1:1000 Modell von Zürich © Studio Sergison, AAM
1 marzo 2022
Aita Flury, Rita Illien, Vittorio Magnago Lampugnani, Peter Märkli, Jonathan Sergison | Da un punto di vista personale
Erfahrungen und Möglichkeiten, Teil IV - Urban Codes
Das Gespräch mit Peter Märkli (PM), Rita Illien (RI), Vittorio Magnago Lampugnani (VML) und Jonathan Sergison (JS) unter der Leitung von Aita Flury (AF) fand am 26. August 2021 in Zürich statt. Sie alle haben sich in der einen oder anderen Form an übergeordneten Planungen in der Schweiz beteiligt, sei es in der Stadt, in Suburbia oder im ländlichen Gebiet. Das Gespräch erschien im Du-Heft 910 vom Dezember 2021/Januar 2022.
AF: Jonathan Sergison, Du arbeitest zurzeit zusammen mit Prof. Dr. Tom Avermaete von der ETHZ an einem Schweizer Nationalfond Forschungsprojekt mit dem Titel: ‚Codes and conventions for future Zürich: a propositional planning approach to qualitative densification’. Eure Hypothese lautet, dass das in den nächsten Jahrzehnten erwartete Bevölkerungswachstum von 25 Prozent in Zürich innerhalb der Stadtgrenzen absorbiert werden kann, mit Hilfe vorentworfener, städtischer Szenarios von qualitativer Verdichtung. Dazu untersucht ihr einerseits auf theoretischer Ebene die heutige Beziehung ‚urban codes’ - städtische Textur und setzt andererseits auf die proaktive Methodologie architektonischer Entwürfe, die sich konkret auf ortsspezifische, räumliche Eigenschaften einlassen, soziale, ökologische, wirtschaftliche und die Mobilität betreffende Bedingungen integrieren und Möglichkeiten visualisieren. Das Forschungsprojekt ist Plädoyer für die Kombination von geschichtlichem Wissen mit der Kraft von neuen, architektonischen Entwürfen als Testanlagen. Sind also die Hochschulen die Orte, von welchen aus sinnfällige, übergeordnete Planungen erst möglich werden?
Team-Meeting des Forschungsprojekts ‘Codes and conventions for future Zürich, a propositional planning approach to qualitative densification’ © Irina Davidovici
Fotomontage von Zürich mit Student*innen Projekten © Studio Sergison, AAM, Fotomontage von Mirella Mascolo
JS: Kurz ein paar Worte zum Projekt: Der Zugang dazu kam aus einer Aufgabenstellung, die meine Studenten in Mendrisio während sechs Semestern bearbeitet haben. Wir untersuchten in dieser Zeit ganz Zürich und waren primär von der Frage umgetrieben, wie Zürich 2040 aussehen wird, wie Zürich ein Bevölkerungswachstum von 25 Prozent absorbieren kann. In jedem Semester haben wir ein anderes Gebiet von Zürich untersucht und damit begonnen Strategien zu entwickeln, welche die unterschiedlichen Themen bedienen. Wohnungsbau war natürlich immer ein Thema, aber auch Verkehrs- und Freiraumfragen oder das Thema der Bestandeserhaltung/Denkmalpflege als eine Bedingung, auf die zu reagieren ist. Parallel dazu haben wir mit den Studenten Gebäudefassaden untersucht, als eine Art Dokumentation der Baukultur von Zürich. Mein Argument dafür ist, dass die städtische Fassade einen der wichtigsten Eindrücke hinterlässt in Bezug auf den Charakter einer Stadt. Die Fassaden spielen zudem eine wichtige Rolle, weil sie die Art des Umgangs mit dem ‚Decorum’ der städtischen Aufgabe/Funktion zeigen.
AF: Wie kam es dann zum eigentlichen Forschungsprojekt?
Übersichtspläne von Zürcher Fassaden © Studio Sergison, AAM
Gower Street, London © Jonathan Sergison
Übersichtsplan von Bloomsbury Fassade © Studio Sergison, AAM, Student*innen Pablo Garrido Arnaiz and Cristina Roiz de la Parra Solano
JS: Nach ein paar Semestern mit den Studenten in Mendrisio bin ich auf Tom Avermaete zugegangen zwecks Anfrage für eine kollaborative Forschungsarbeit. Idee dabei war, den Blick in der Vergangenheit zu schärfen, um in die Zukunft entwerfen zu können. Wir schauen nun zurück auf 141’000 Stunden Arbeit der Studenten - so viele kommen zusammen, wenn man die Arbeit von 24 Studenten/Semester über sechs Semester hinweg hochrechnet. Ein solches Forschungsprojekt für eine Stadt wie Zürich würde also ca. 20 Millionen Franken kosten - man muss sich diese Dimension vorstellen! Die Hochschulen sind also sicherlich wichtige Orte, wo es möglich ist, übergeordnete Untersuchungen mit extrem viel Ressourcen zu betreiben. Es ist mir zudem wichtig zu betonen, dass wir stets mit der Stadt zusammengearbeitet haben, an ihren realen Fragen dran waren in gleichzeitiger Balance zu den notwendigen Freiheiten einer akademischen Studienarbeit. Die Arbeiten sind also nahe bei der Realität, aber nicht komplett an sie gebunden. Das ist auch für die Stadt interessant, weil es ihr in ihrem Alltag voller Rahmenbedingungen/Normen auch guttut, wenn ihr in einer gewissen Naivität und Offenheit Themen präsentiert werden.
AF: Insofern müsste man doch dafür plädieren, dass die Ressourcen bei den Hochschulen für solche an realen städtebaulichen Fragen angeknüpfte Aufgabenstellungen nutzbar gemacht werden, vielmehr als dies heute der Fall ist.
VML: Ich finde es wunderbar, was Du, Jonathan, mit Tom Avermaete machst; ich hoffe sehr, dass eure Arbeit von der Stadt wahrgenommen und einen Einfluss auf sie haben wird. Ich hatte es seinerzeit auch versucht und bin damit gescheitert. Dabei liegt eine Zusammenarbeit von Stadt und Schule eigentlich auf der Hand: eine absolute win-win Situation. Wunderbar einerseits für die Stadt, die durch die Arbeiten der Studierenden sehr viele kreative Impulse bekommt, aber auch für die Schule, weil die Studenten und Studentinnen so das Gefühl haben, an relevanten Themen zu arbeiten und damit eine Stimme zu bekommen.
Volumetrie-Studien © Studio Sergison, AAM, Studenten Jasper Rumbelow and Isaac Colin
Atmosphäre-Studien © Studio Sergison, AAM, Student*innen Marta Cassany and Francesco Colli
Aita Flury, Rita Illien, Vittorio Magnago Lampugnani, Peter Märkli, Jonathan Sergison
Aita Flury *1969 in Chur, studierte Architektur an der ETH Zürich. Seit 2005 betreibt sie ein eigenes Architekturbüro in Zürich. Neben der praktischen Arbeit war sie in der Lehre tätig (ETHZ/HTW Chur/KIT Karlsruhe), hat die Ausstellung Dialog der Konstrukteure kuratiert und publiziert zu architektonischen Themen. Seit 2021 hat sie ein Mandat für die fachliche Leitung bei der Stiftung Baukultur Schweiz.
Rita Illien *1965 in Vals, studierte in Rapperswil Landschaftsarchitektur. Seit 2008 führt sie mit Klaus Müller das Büro Müller Illien Landschaftsarchitekten. Neben der Projektarbeit engagiert sie sich in verschiedenen Kommissionen, ist als Wettbewerbsjurorin tätig, begleitet Planungsverfahren als Fachspezialistin und ist Gastkritikerin an Hochschulen.
Vittorio Magnago Lampugnani *1951 in Rom, ist Architekt und war bis vor kurzem Professor an der ETH; heute lehrt er am GSD in Harvard. Er führt ein Büro in Mailand und gemeinsam mit seinem Partner Jens Bohm eines in Zürich, Baukontor Architekten. Er zeichnete für den Novartis Campus in Basel sowie für das Richti Quartier in Wallisellen verantwortlich.
Peter Märkli *1953 in Zürich, studierte Architektur an der ETH Zürich und war mit dem Architekten Rudolf Olgiati und dem Bildhauer Hans Josephsohn bekannt. Seit 1978 betreibt er ein eigenes Atelier und war von 2002 bis 2015 Professor an der ETH Zürich. Er lebt und arbeitet als Architekt in Zürich.
Jonathan Sergison *1964 in St. Asaph, studierte Architektur an der Architectural Association London und gründete 1996 zusammen mit Stephen Bates das Architekturbüro Sergison Bates in London. Im Jahr 2010 eröffnete das Büro ein zweites Studio in Zürich. Seit 2008 ist Jonathan Sergison Professor für Entwurf und Konstruktion an der Accademia di Architettura in Mendrisio, wo er auch Direktor des Instituts für Städtebau und Landschaftsstudien ist.