Alle Bilder zeigen Ausstellungen von offenen Architekturwettbewerben © Alle Fotos von Volker Bienert
13 dicembre 2021
Ivo Bösch | Da un punto di vista personale
Architekturwettbewerb – Silber der Baukultur
Ohne Projektwettbewerb keine Baukultur. Doch Digitalisierung, Klimakrise und Partizipation werden wohl auch unsere Wettbewerbskultur verändern.
Der Projektwettbewerb ist das Silber in der Besteckschublade der Baukultur. Mit ihm kommen wir in der Schweiz zu guten Häusern. Mitte des 19. Jahrhunderts brauchte der junge Bundestaat neue öffentliche Bauten. Es kam immer wieder zu Streitigkeiten um die Aufträge. Darum verabschiedete der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein 1877 die «Grundsätze über das Verfahren bei öffentlichen Concurrenzen» und versuchte mit geregelten Wettbewerbsverfahren die Arbeit der Architekten aber auch die Interessen der Bauherrschaften zu schützen. Eine Zählung gibt es nicht, doch der Projektwettbewerb wurde seither mehrere tausend Mal durchgeführt. Er ist bis heute ein Erfolgsmodell, weil der Berufsverband immer auch die Wünsche der Auftraggeber aufnahm, als er die Ordnung für Architektur- und Ingenieurwettbewerbe anpasste. Und die öffentliche Beschaffung, die sonst von den Kosten geprägt ist, macht beim Projektwettbewerb eine Ausnahme. Nicht das Architekturbüro mit dem günstigsten Honorar erhält den Auftrag, sondern das mit dem besten Projekt.
Von allen möglichen Verfahren ist der Projektwettbewerb im offenen Verfahren das fairste, weil er erstens allen offensteht und zweitens anonym durchgeführt wird. Namen spielen bei der Jurierung genauso wenig eine Rolle wie persönliche Verbindungen. Beim offenen Wettbewerb gewinnt das beste Projekt – und nicht der berühmteste Architekt.
Vor zwei Jahren drohte der offene Wettbewerb aber zu verschwinden: Die öffentliche Hand bevorzugt schon länger selektive Verfahren, also Wettbewerbe, bei denen sich die Architektinnen und Architekten um die Teilnahme bewerben müssen. Die wenigen Städte und Gemeinden, die noch offene Verfahren ausschrieben, wurden von den Architekturbüros überrannt. Auch dank einer Kampagne von Hochparterre www.hochparterre.ch/deroffenewettbewerb hat glücklicherweise die Zahl der durchgeführten offenen Verfahren diesen Herbst wieder deutlich zugenommen.
Für eine demokratische Gesellschaft braucht es diesen freien Zugang zu den öffentlichen Bauaufgaben. Der offene Wettbewerb glänzt zwar wieder, doch wir müssen ihn trotzdem aufpolieren. Er steht aus drei Gründen unter Druck. Erstens führen bereits private und öffentliche Bauherrschaften einzelne digitale Verfahren durch, an denen Architekturbüros keine ausgedruckten Pläne und Gipsmodelle mehr abgegeben müssen, sondern nur noch PDFs und digitale Modelle. Die ersten Versuche zeigen, dass der Aufwand noch für Auslober, Jurys und Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gross ist. Organisatoren solcher Verfahren fordern iterative Verfahren mit mehreren Stufen, was die Wettbewerbsordnung nicht vorsieht. Zweitens machen die Städte Druck auf den Projektwettbewerb, weil sie die Klimakrise bewältigen wollen. Sie probieren neuartige Verfahren, um neue nachhaltigere Ideen für ihre Bauvorhaben zu bekommen. Drittes grosses Thema ist die Mitsprache der Bevölkerung. Vor allem die Westschweiz, früher eine Hochburg des offenen Wettbewerbs, schreibt zunehmend nicht anonyme Studienaufträge aus, damit in den Zwischenbesprechungen Nutzerinnen und Nutzer Einfluss auf die Entwürfe nehmen können.
Lassen sich Digitalisierung, Klimakrise und Partizipation mit dem bestehenden Besteck meistern? Oder müssen wir die bewährten Verfahren anpassen? Darüber müssen wir diskutieren. Wenn wir keine Lösungen finden, dann tun es andere, Fachfremde aus Verwaltung oder Ingenieur- und Planungsbüros, die Wettbewerbe organisieren. Doch die Zeichen sind vielversprechend: Das ‚Schaffhauser Architektur Forum’ lud im November zu einer Veranstaltung unter dem Titel ‚Projektwettbewerbe im offenen Verfahren’ ein. Das Architekturforum in Lausanne fragte, ob man den Wettbewerb neu erfinden oder doch nur die bestehenden Verfahren besser anwenden müsse. Im April 2022 plant das Architekturforum in Thun eine Diskussion über die Wettbewerbskultur, und das Bauforum in Zug entwickelt zurzeit ein Konzept für eine Ausstellung und ein Symposium, um seinen Mitgliedern und allen Planenden im Kanton eine Hilfestellung in Sachen Wettbewerbe zu geben. Und auch Hochparterre leistet mit einer Umfrage zum Architekturwettbewerb einen Beitrag zur Diskussion. Die Ergebnisse besprechen wir an einer Veranstaltung im März 2022, die während einer Ausstellung im Architekturforum in Zürich stattfinden wird.
Dass der Wettbewerb ein Kulturgut ist, merkte auch ein Team um Olivia de Oliveira und Serge Butikofer. Sie haben eine grosse Ausstellung www.leconcourssuisse.ch über den Schweizer Wettbewerb konzipiert, ursprünglich für den Kongress der Internationalen Vereinigung der Architekten (UIA) in Rio de Janeiro. Zeigen konnten sie die Ausstellung im April nur in Genf, aber an einem digitalen runden Tische hörten fast 700 Personen während zwei Stunden zu - die Hälfte aller Kongressteilnehmer. Das Interesse war gross, der Schweizer Architekturwettbewerb taugt offenbar als Exportgut. Die Ausstellung reist im Frühling 2022 nach Freiburg, Lausanne und Biel.
Es ist gut, wenn wir diskutieren. Und es ist gut, dass wieder mehr Projektwettbewerbe im offenen Verfahren ausgeschrieben sind. Denn sie sind bewährt, fair und günstig. Meine Grosseltern haben das Silberbesteck nie hervorgeholt. Die Zeiten ändern sich: Das geerbte Silberbesteck benutze ich heute jeden Tag.
Ivo Bösch
Ivo Bösch schreibt seit 2003 über den Architekturwettbewerb, heute bei Hochparterre, früher bei TEC21. Er ist Architekt, Redaktor der Zeitschrift «Hochparterre Wettbewerbe» und seit 2017 auch Wanderleiter.
www.hochparterre.ch
www.bauhuette.ch