Enrico Slongo, Präsident der Stiftung Baukultur Schweiz © Stiftung Baukultur Schweiz - Fotograf: Conrad von Schubert
7 novembre 2023
Enrico Slongo | Da un punto di vista personale
Hohe Baukultur braucht Gestaltungsraum
Ansprache von Enrico Slongo an der Tagung "Baukultur und Recht" vom 08.11.2023
Sehr geehrter Herr Staatsrat,
Sehr geehrter Herr Gemeinderat,
Sehr geehrte Frau Amtsdirektorin Carine Bachmann,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
Im Namen des Stiftungsrats der Stiftung Baukultur Schweiz und im Namen unserer Partner Professoren der Rechtsfakultät der Universität Fribourg, heisse ich Sie herzlich willkommen zu unserer dritten Tagung unter dem Titel «Baukultur und Recht» hier in der ehrwürdigen und baukulturell hochwertigen Aula Magna der Universität Misericorde. Sie ist ein Chef d’ouevre ihrer Zeit. Ein Ort mit Identität, ein Guss aus einer Hand, sowohl funktional wie architektonisch!
Sind solche Bauten heute noch möglich? Die Ansprüche an das heutige Bauen sind immer komplexer. Die Rechtsfakultät hier in Fribourg platzt aus allen Nähten. Ein Neubau in unmittelbarer Nachbarschaft wird seit über 10 Jahren entwickelt. Er basiert auf einem Architekturwettbewerb.
Das Raumplanungs- und Baugesetz vom Kanton Fribourg weist 186 Artikel auf; der Begriff «hohe Baukultur» kommt nicht vor.
Die Stadt Fribourg hat ihr Baureglement überarbeitet, entstanden sind 361 Artikel: Der Begriff «hohe Baukultur» kommt nicht vor.
Wir stellen heute fest, dass die Baugesetze und Baureglemente Kompetenzen zuordnen, Baubewilligungsverfahren und Beschwerdeverfahren regeln und quantitative Fakten für Bauvorhaben (Gebäudehöhen, -längen, Grenzabstände etc.) vorgeben. Für Behörden und Juristen eine einfache Aufgabe, wenn in der Folge bei einem Baugesuch die Rechtmässigkeit festgestellt werden muss.
Nur stellen wir heute auch fest, dass bei weitem nicht alle Bauvorhaben, die den kantonalen Gesetzen und kommunalen Reglementen entsprechen, einen qualitativen Mehrwert für die Gesellschaft bringen. Dabei ginge es um die Einbindung von weichen Fakten wie: Städtebauliche Setzung, architektonischer Ausdruck, soziale und räumliche Verträglichkeit, Ortsbild und Identität, Biodiversität, Harmonisierung, Lebensraum. Alles Begriffe, die eine hohe Baukultur erreichen, jedoch nur begrenzt mit quantitativen Fakten zu beschreiben sind.
Die freie grüne Wiese gibt es seit der RPG-Revision im Jahr 2013 praktisch nicht mehr. Wir sind verpflichtet unsere Städte und Gemeinden nach innen zu entwickeln. Das eindimensionale Wort «Verdichten» hat sich Land auf Land ab verbreitet. In der Folge wurden Industriebrachen Schweiz weit neu überbaut! Wir stehen nun vor der Herausforderung, dass wir nur noch im Bestand entwickeln können. Und da müssen qualitative Faktoren eine höhere Gewichtung bekommen.
Ich richte mich an Sie, Professoren, Juristen und Juristinnen hier in der Aula: Kann der Begriff «hohe Baukultur» in die Gesetzgebung und/oder Rechtsprechung als Rechtbegriff aufgenommen werden? Wie kann hohe Baukultur als Rechtsbegriff qualitative Faktoren vor quantitative Faktoren gewichten, ja ersetzen und dennoch zu Rechts- und Planungssicherheit führen? Ja, ist es sogar möglich, dass wir dadurch unsere Gesetzgebung massiv kürzen könnten? Müssten an Stelle von Gebäudelängen und –höhen neue qualitätssichernde Verfahren in die Rechtsgrundlagen verankert werden, damit Bauen im Bestand verträglich wird?
Ich bin sehr gespannt, inwiefern uns diese Tagung dazu weiterbringen wird und wünsche Ihnen viel Vergnügen und interessante Gespräche.
© Stiftung Baukultur Schweiz
Stiftung Baukultur Schweiz
Die Stiftung Baukultur Schweiz ist eine nationale, neutrale und politisch unabhängige Stiftung. Im Frühjahr 2020 gegründet, bringt sie Akteure zusammen, schafft Plattformen, initiiert Prozesse und macht sich stark für jene, welche die Grundlagen der Baukultur inhaltlich ausarbeiten oder diese in der Praxis umsetzen.